Das Buch für Schwangere und die, die es werden wollen! Und natürlich auch für angehende Väter, Omas und Opas und andere Interessierte!
von Gerald Hüther und Ingeborg Weser und weiteren Co-Autoren: Dr. Sven Hildebrandt, Dr. Angelica Ensel, Esther Göbel, Dr. Karl Heinz Brisch
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Der Wunsch zu berühren und berührt zu werden begleitet uns ein Leben lang.
Der Tastsinn der Haut ist das erste Sinnesorgan, das vorgeburtlich in Funktion ist. Schon in der 7. Schwangerschaftswoche reagiert der Embryo auf die Stimulation der Haut. Das zeigt schon, wie wichtig diese Funktion für die weitere Entwicklung des Kindes ist. Aus Ultraschalluntersuchungen wissen wir heute, dass das vorgeburtliche Kind aktiv Berührungskontakte sucht: es saugt auf seinem Daumen oder seinen Zehen, berührt die Nabelschnur und nimmt Kontakt auf mit der Plazenta. Und wenn es einen Zwilling gibt, dann entwickeln sich schon jetzt rege Berührungskontakte. Dazu kommt, dass die Haut des Kindes natürlich permanent durch die Bewegung des Fruchtwassers stimuliert wird und es dadurch zu Hautwahrnehmungen kommt. Psychologen nehmen an, dass dadurch erste Erfahrungen von dem wichtigen Gefühl: „Das bin ICH“, „Das ist die Grenze zwischen Innen und Außen“ zustande kommen – eine Grundvoraussetzung für ein Gefühl von Identität und innerer Konsistenz.
Die Geburt gibt dem Kind außerordentlich intensive Berührungserfahrungen mit auf den Weg. Immerhin muss es sich mit einem viel zu großen Kopf durch eine ziemlich kleine Öffnung zwängen! Wenn alles einigermaßen gut geht, bedeuten diese Berührungen des Geburtskanals zusammen mit der Ausschüttung entsprechender Hormone eine Stärkung des Organismus und eine Hilfe beim Übergang in eine ganz andere Welt.
Wichtig ist, dass das Neugeborene darin unterstützt wird, sich an die neuen Gegebenheiten des nachgeburtlichen Lebens zu gewöhnen. Auch dabei spielen Berührungserfahrungen eine große Rolle. Jeder weiß, dass sich Säuglinge im Körperkontakt am ehesten beruhigen lassen. Sie brauchen die körperliche Nähe zur Mutter bzw. zur Pflegeperson, sie brauchen es gehalten und getragen zu werden. Dann fühlen sie sich sicher und geborgen. Der Kontakt des Mundes mit der Brustwarze beim Stillen erlaubt dem Kind nicht nur die Nahrungsaufnahme. Es „saugt auch Liebe“ auf und es sieht ganz danach aus, dass es dies als außerordentlich befriedigend und lustvoll erlebt. Wir wissen heute, dass positive Berührungserfahrungen des Kindes einen wichtigen Beitrag zur Bindungsentwicklung des Kindes leisten, die die Grundlage ist für das so existentiell wichtige Gefühl von Sicherheit, Vertrauen und Verbundenheit – mit sich selbst, anderen Menschen und der „Welt“ an sich.
Berührung unterstützt nicht nur die emotionale Entwicklung des Menschen, sie ist auch für das Erfassen und Kennenlernen der Welt von wesentlicher Bedeutung. Durch „Be-greifen“ von Gegenständen und Menschen lernt das Kleinkind die Welt kennen und macht so lebenswichtige Erfahrungen zur Förderung kognitiver und motorischer Fähigkeiten. Auch die Berührung des eigenen Körpers spielt dabei eine wichtige Rolle und hilft dem Kind, ein Bild von sich selbst zu entwickeln und den Impulsen und Bedürfnissen des Organismus zu folgen, um sich so optimal regulieren zu können. Auch viele Kinderspiele basieren auf Berührungserfahrungen. Überhaupt bleibt Körperkontakt während der ganzen Kindheit wichtig: getragen werden, Hand in Hand gehen, Berührungen bei der täglichen Versorgung, auf dem Schoß sitzen, Raufen, Kräfte messen etc. So entsteht ein ganz individueller Zugang zur eigenen Leiblichkeit.