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Der beseelte Körper

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In unserer Kultur sind wir gewöhnt daran, dass sich ÄrztInnen um unseren Körper kümmern und PsychologInnen oder TheologInnen um unsere Seele. Wir sind es gewöhnt, Körper und Seele als etwas Getrenntes wahrzunehmen. Genauer betrachtet, ist diese Trennung eigentlich unhaltbar. Immerhin ist unser Körper keine Maschine, die völlig unabhängig ist davon, wer sie und unter welchen Umständen bedient. Unsere Seele bewegt sich nicht in einem luftleeren Raum, sie braucht einen Körper, um sich auszudrücken.

Das, was wir gemeinhin als ‚das Seelische’ beschreiben, hängt eng zusammen mit unserer Gefühlswelt. Emotionen, wie Freude, Trauer, Wut, Angst oder Neugier sind wichtige Ausdrucksmittel unserer Psyche. Gefühle zeigen die Befindlichkeit unser Psyche: Freude verdeutlicht, dass das Geschehene genau das ist, was wir brauchen, Trauer sagt uns, dass ein Gefühl von Verlust und Trennung in uns ist, dem wir Aufmerksamkeit geben sollten, Wut weist darauf hin, dass etwas nicht gut für uns ist und geändert werden sollte, Neugier sucht nach neuem ‚Futter’ für die Seele etc. Man wird sich seiner Gefühle bewusst durch bestimmte Empfindungen im Körper: Wut fühlt sich anders an als Liebe. Auch die physiologischen Vorgänge, die damit verbunden sind, sind natürlich ganz unterschiedlich.

Gefühle zeigen sich auch in unserer Mimik, Gestik und Haltung. Gefühle drücken sich körperlich aus. Ein trauriger Mensch sitzt eher zusammengesunken da, wird wahrscheinlich eher seine Augen senken, Weinen fühlt man vor allem in der Brustgegend, beim Herzen. Wenn man wütend ist, richtet man sich auf; man will sich groß erscheinen lassen, immerhin hat man etwas Wichtiges zu sagen! Die Augen fokussieren sich, Muskeln werden angespannt, man hat die Neigung, den Kiefer anzuspannen, Fäuste zu ballen… Bei Angst dagegen kommt es zum Hochziehen der Schulter, die Beine werden weich, die Augen weiten sich, man bekommt Impulse zu flüchten oder zu erstarren.

Ein funktionierender Organismus, eine funktionierende Seele braucht nicht nur Gefühle, die sozusagen den Ist-Zustand anzeigen, sie braucht auch die Möglichkeit, auf die Umgebung einzuwirken. Dazu haben wir innere Impulse, die uns auf neue Ideen bringen oder uns in Bewegung setzen, unsere Situation zu verändern. Ein ganz alltägliches Beispiel betrifft das Hungergefühl. Hunger ist ein wichtiger, ja lebenswichtiger Impuls unseres Organismus. Er bringt uns dazu, zum Kühlschrank zu gehen und uns ein Brot zu schmieren. Er lässt uns den Geruch von frischen Brötchen wahrnehmen, wenn wir um die Mittagszeit an einem Bäckerladen vorbeikommen. Unsere inneren Impulse sind aber nicht nur dazu da unsere wichtigsten physiologischen Grundbedürfnisse zu befriedigen, sie sind viel weitgehender: Sie haben auch psychische Funktionen. Als innere Impulse ‚sagen’ sie uns, ob man einer Person vertrauen kann oder ob man lieber Abstand halten sollte. Es sind auch innere Impulse, die uns deutlich machen, ob es als Eltern in einer bestimmten Situation gut ist, einem Kind Grenzen zu setzen oder es vielleicht besser ist, großzügig zu sein. Manchmal sind es sogar große Lebensentscheidungen, die man treffen muss: ob man den Partner heiratet, oder ob man eine bestimmte Ausbildung anfängt, oder ob man sein Leben ganz anders gestalten will. Immer sind es innere Impulse, auf denen diese Entscheidungen beruhen. Diese Impulse sind Ausdruck eines psychischen und körperlichen Geschehens.

Unser Körper ist einer unserer wichtigsten Kommunikationsmittel. Neben der Sprache tauschen wir ständig non-verbale Informationen mit anderen Menschen aus: Man braucht einen Menschen nur anzusehen und sofort macht man sich, mehr oder weniger bewusst, einen Eindruck von dem Anderen. Man reagiert auf sein Aussehen, seine Haltung, den Klang seiner Stimme, seinen Gesichtsausdruck etc. Natürlich kann man versuchen, seine Befindlichkeit zu verstecken: bis zu einem gewissen Grade ist das durchaus möglich, indem man eine fröhliche Miene aufsetzt oder probiert, die Gesichtszüge zu kontrollieren. Aber dennoch ist diese Kontrollmöglichkeit begrenzt. 

Wir kommunizieren mit unserem Körper zum einen über den Blickkontakt: Im Volksmund sagt man ja, dass die Augen der Spiegel der Seele sind. Das ist in gewisser Weise sicher wahr. Augen können offen und zugänglich sein, sie können hart und kritisch sein, sie können groß und ängstlich aussehen oder groß und naiv. Sie können einen traurigen Ausdruck haben oder  voller Tatendrang ‚blitzen’. Sie können Güte und Liebe ausstrahlen. Die momentane Befindlichkeit, aber auch die Persönlichkeit drücken sich in den Augen aus. Mit den Augen nehmen wir auch Kontakt auf mit anderen Menschen. So bauen wir eine Brücke zum Anderen.

Wenn jemand im verkehrten Moment wegschaut, dann stört uns das, dann fühlen wir uns vielleicht abgelehnt oder ausgeschlossen. Wenn jemand uns in einem unpassenden Moment anschaut, z.B. in einer vollen Straßenbahn, dann haben wir schnell das Gefühl, dass unsere Intimitätsgrenzen überschritten werden. Die Länge des Blickkontaktes ist im Allgemeinen angepasst an die Nähe des Kontaktes. (Ganz tief in die Augen schauen sich z.B. Verliebte, die sich auch innerlich sehr nah sein wollen.) Bei intensivem Nachdenken bricht der Sprecher den Blickkontakt übrigens ab, um seine kognitiven Verarbeitungskapazitäten nicht zu überfordern. Mit den Augen wird auch im Gespräch untereinander geregelt, wer mit dem Sprechen an der Reihe ist.

Kommunikation findet auch über die Bewegung statt: zum einen über die Mimik: mit den immerhin zwanzig Muskeln wird dem Gesicht ständig ein anderer Ausdruck verliehen. Lächeln, z.B. gilt als wichtiges Kontaktmittel, ähnlich wie das zustimmende Nicken als nonverbale Reaktion während eines Gesprächs. Die Gestik, also der Ausdruck über die Bewegung der Arme ist stark an die Sprache gebunden. Eine wichtige Funktion ist die Berührung, die vor allem mit den Händen über Eigen- oder Fremdberührung geschieht. Das Berührungsverhalten ist übrigens stark kulturell beeinflusst. So hat man die Häufigkeit von Berührungen in einem Cafe aufgezeichnet. In Puerto Rico kam es zu 160, in Paris zu 110 und in London zu 0 Berührungskontakten innerhalb eines bestimmten Zeitraumes.

Über die Körperhaltung bekommen andere Menschen Informationen über die Persönlichkeit des Anderen, aber auch seine momentane Befindlichkeit. Eine Person, deren Rücken wie ein Soldat aufrecht ist, mit hocherhobenem Kopf und gewölbtem Brustkorb, fühlt sich für das Gegenüber anders an als ein Mensch, der sich klein macht, indem er seinen Kopf senkt, den Rücken rund macht, die Schultern nach vorne fallen lässt. Diese Menschen rufen im Anderen unterschiedliche Reaktionen wach. So nimmt der Körper Einfluss darauf, wie sich die Beziehung zu anderen Menschen gestaltet. Eine zugewandte Haltung drückt eher Sympathie aus: Wenn man sich bei einem Gespräch gut versteht, dann gleichen sich Körperhaltungen automatisch spiegelbildlich an. Bei inkongruenten Körperhaltungen fehlt die Passung.

Auch die Stimme sagt viel über die psychische Befindlichkeit aus. Stimmen sind sehr unterschiedlich: eine hohe Stimme kann manchmal als körperlos erlebt werden, eine tiefe Stimme als im Körper verankert. Es gibt lebendige Stimmen, die ausdrucksvoll sind, es gibt Stimmen, die langweilig sind. Manche Menschen sprechen schnell und ohne Pause, andere sprechen so wenig wie möglich, so dass der Kontakt karg und leblos erscheint. In der Art, wie wir unsere Stimme gebrauchen, drücken wir uns als Person aus. Und wir gestalten damit auch die Beziehung zu anderen. Auch die Stimme kann eine Brücke zum anderen sein. Sie kann allerdings auch dafür benutzt werden, Abstand zu schaffen.

Auch die Kleidung und die Frisur sind Kommunikationsmittel. Wenn eine Klientin im Minikleid mit auffallendem Dekolleté zum ersten Mal zu einer Sitzung erscheint, bekommt der Therapeut einen anderen Eindruck von der Person, als wenn eine Klientin möglichst unauffällige, hochgeschlossene Kleidung trägt, die ihren Körper so viel wie möglich verbirgt.

Die Regulierung von Nähe und Abstand ist ein wichtiges Mittel körperlicher Kommunikation. Instinktiv wissen wir, dass man normalerweise einen gewissen Abstand zu Menschen halten muss: Bei einer gemeinsamen Fahrt in einem Fahrstuhl sucht jede Person automatisch einen Platz in einer Ecke auf. Man will die Intimitätsgrenzen des Anderen nicht überschreiten und will auch nicht, dass die eigenen überschritten werden. Wenn man eine Person kennt und Vertrauen gewonnen hat, dann wird eine gewisse Nähe zu einem Bedürfnis: Menschen, die verliebt sind, wollen sich am liebsten ganz nah sein, sich berühren, eng umschlungen sein etc. Mit der Regulation von Nähe und Abstand kommunizieren wir unser Gefühl von Nähe bzw. Abstand zu einer anderen Person.

Der Körper ‚erinnert’ sich

Der Körper des Menschen, in seiner Haltung, seiner Beweglichkeit, seiner Empfindsamkeit und Ausdrucksfähigkeit ist kein bloßes Produkt von irgendwelchen Genen, die ihn gemacht haben, so wie er ist. Natürlich haben wir vielleicht die Augenfarbe von unserem Vater geerbt und die Haare von der Mutter, dennoch ist nicht alles durch Vererbung erklärbar. Als körperorientierte Psychotherapeuten wissen wir, dass der individuelle Ausdruck des Körpers in vieler Hinsicht das Produkt von Erfahrungen ist, die wir im Laufe des Lebens gemacht haben. Besonders bedeutsam sind dabei Erfahrungen, wie wichtige Personen in unserem Leben, das sind meistens die Eltern, mit unseren ureigensten Bedürfnissen umgegangen sind. Unsere ureigensten Bedürfnisse sind z.B. das Bedürfnis, gewollt zu sein, oder das Bedürfnis, dazuzugehören. Andere wichtige Bedürfnisse sind das Bedürfnis, als Individuum respektiert zu sein, autonom und unabhängig zu sein oder das Bedürfnis, in seiner Geschlechtsidentität unterstützt zu werden. Alle diese Bedürfnisse sollten so gut wie möglich beantwortet werden und zwar von den wichtigsten Bezugspersonen, meistens den Eltern.

Tatsache ist, dass sich die Körper-Psyche an die entsprechenden Erfahrungen erinnert: Wenn ein Kind z.B. ständig verprügelt wurde, dann ist diese Erfahrung auch im Erwachsenen noch immer fest im Organismus verankert. Dies hat zur Folgen, dass die Person bestimmte Verhaltensweisen ‚automatisch’ als bedrohlich erlebt. Wahrscheinlich wird sie dann versuchen, so eine Situation zu vermeiden: Z.B. dadurch, dass sie sich immer ‚brav’ verhält, ihre Bedürfnisse zurückstellt, oder indem sie sich als Person erlebt, die Dinge sowieso immer falsch macht, die also eigentlich ein schlechter Mensch ist.  Dieser Glaube kann sehr tief verwurzelt sein und sich auch in der Körperhaltung oder dem Zugang zum eigenen Körper widerspiegeln. Es gibt übrigens auch geprügelte Menschen, die ganz anders reagieren: Die Person kann die Konsequenz ziehen, sich hart zu machen und sich von anderen Menschen und damit auch von ihren eigenen Gefühlen abzuschließen; sie hat gelernt, dass sie Menschen nicht vertrauen kann, dass es besser ist, sich von anderen abzuwenden und einfach zu tun, was sie will, ohne Rücksicht auf Verluste. Auch diese innere Haltung wird sich im Körper der Person widerspiegeln.

Der Körper erinnert sich nicht nur an den psychischen Umgang mit ihm, sondern auch an den körperlichen. Gerade am Anfang des Lebens ist der Kontakt zwischen Mutter, Vater und Kind vor allem ein körperlicher. Auch hier lernt das Kind etwas darüber, ob es willkommen ist, ob es als eigene Person respektiert wird, ob es sicher ist. Das zeigt sich zum Beispiel darin, wie ein Baby angefasst wird, ob und wie und wie viel und wie lange es getragen wird, ob es Bewegungsfreiheit hat etc. Die Qualität der Berührung ist für Kinder (vor allem die Kleinen) sehr wichtig. Aber auch Erwachsene brauchen Berührung. Besonders, wenn wir uns allein oder schutzlos fühlen, wenn wir traurig sind, suchen wir die körperliche Nähe zum Anderen. Über diese körperliche Nähe können wir uns wieder regulieren- danach geht es uns dann meistens besser als vorher. Die körperliche Nähe sorgt also dafür, dass die Psyche wieder ins Gleichgewicht kommt. Natürlich haben wir auch ein Bedürfnis nach Nähe, wenn wir uns anderen Menschen emotional nahe fühlen. Menschen, die Liebesgefühle füreinander haben, finden es im Allgemeinen angenehm, dem anderen auch körperlich nahe zu sein. Auf der anderen Seite ist es auch ein menschliches Bedürfnis, Distanz zu anderen haben zu können: Manchmal ist es wichtig für uns, uns einmal zurückzuziehen, alleine zu sein, uns nicht mit anderen beschäftigen zu müssen, sondern ausschließlich mit uns selbst.

Menschen brauchen beides: Nähe und Distanz. Für ein ausgewogenes psychisches Gleichgewicht brauchen wir die Fähigkeit, in dem einen Moment Nähe herstellen zu können, in einem anderen aber auch Abstand und Raum für uns selbst.